Turner waren es, die den Verein gründeten. Doch es gibt mit Ausnahme des Kinderturnens und der Gymnastikdamen eigentlich keine Turner mehr im Turnverein Holzheim. Das ist keine Überraschung. Selbst der Deutsche Turnerbund ist nach den Worten seines Präsidenten Rainer Brechtken eher ein „Gemischtwarenladen“ als ein reiner Verband der Turner. Doch auch wenn der TV Holzheim seine größten Erfolge unter den Vorzeichen des Handballs errungen hat, so weist seine Geschichte zahlreiche weitere Sportarten auf.
Zuerst aber noch einmal der Blick auf die Turner. Die vergleichsweise schon früh Probleme hatten. Die Blüte des Turnens ist Anfangs der 20er Jahre zu datieren. 128 Mitglieder seien am regen „Betrieb“ beteiligt gewesen, schreibt die Chronik. Doch schon Ende der 20er Jahre kam das Turnen fast ganz zum Erliegen. Leichtathletik – und dabei vor allem der Waldlauf – hatte ihm den Rang im wahrsten Sinne des Wortes abgelaufen.
Mit der Gleichschaltung durch die Nationalsozialisten am 12. Mai 1933 und ihrem Körperkult nahm auch das Turnen wieder einen Aufschwung, der aber bald wieder abebbte. Nach der Pause durch den 2. Weltkrieg erlebte das Turnen unter der Leitung von Heinrich Pfannkuchen wieder neue Begeisterung. Als der Oberturnwart 1951 nach Gießen umzog, ging auch wieder das Interesse am Turnen zurück, was im Jahresbericht 1954 eindrucksvoll geschildert wird: „Es ist eine Schande, wenn man sieht, was aus unserer Jugend- und Schülerabteilung in Bezug auf Turnen und volkstümlichen Sport geworden ist. Es werden keine Turnstunden mehr gehalten, es wird kein Sportfest mehr besucht. Es ist einfach zum Kotzen, dass man in jedem Jahresbericht dieselben Klagen führen muss. … Einen Bericht über sportliche Ereignisse kann ich nicht geben, da keine stattfanden. Ausgenommen natürlich Handball, darüber wird jedoch der Spartenleiter ausführlich berichten.“
Beim Nachwuchs wurde dann zwar wieder geturnt – bedingt auch durch das Engagement von Paul Kerpen bis zum Ende der 60er Jahre –, danach hatte der Handball aber endgültig dem Turnen den Rang abgelaufen.
Doch nicht nur Turnen und (das offiziell 1932 eingeführte) Handballspiel haben die 100 Jahre TV Holzheim ausgemacht. Wie schon erwähnt lockte Mitte der 20er Jahre die Leichtathletik. Bereits 1928 wurden die Bezirks-Waldlaufmeisterschaften in Holzheim abgehalten. Und als Vorgänger des Handballspiels lockte seit 1920 Faustball. Über ein Jahrzehnt wurde die Spielsportart mit großem Engagement – und als spielerischer Ausgleich für das Turnen – im Verein gepflegt.
Ab 1953 war auch das Tischtennisspiel im Angebot des TV Holzheim. Dies nicht nur zum Zeitvertreib, sondern auch im Rahmen des regulären Wettkampfgeschehens (ab 1957/58 immerhin in der A-Klasse). Doch schlief diese Sportart – trotz einiger Versuche der Wiederbelebung – langsam ein. Aufgemerkt: Tischtennisplatten befinden sich jedenfalls noch im Vereinsbesitz.
Der Gründung des Turnvereins kam 1909 die Einweihung des Saalbau Sames zugute. Das war im Gasthaus Sames, beim „Schorsch“ – eine Gaststätte in der Eichstraße, die heute als hässliche Ruine das Ortsbild verschandelt. Im dortigen Saal konnten die Turnstunden abgehalten werden – eine gängige Praxis. Denn nur wenige Ortschaften hatten eigene Turn- oder Sporthallen.
Daneben wurde der Platz auf dem „Galgenberg“ genutzt, der Platz an der Straße nach Dorf-Güll, der sich heute als schmuckes Sportgelände präsentiert und der in den 20er Jahren angelegt wurde. Eine Aufbesserung fand der Sportplatz 1932 durch den freiwilligen Arbeitsdienst, wodurch auch an die Gründung einer Handball-Abteilung gedacht werden konnte. Nach dem 2. Weltkrieg musste der Sportplatz bald wieder neu hergerichtet werden. Denn die amerikanischen Besatzungssoldaten hatten ihn in ein Baseball-Field verwandelt. Anfang der 60er Jahre wurde der Sportplatz erneuert und um einen Hartplatz und eine Leichtathletikanlage erweitert. Dies diente auch der damaligen Mittelpunkt-Hauptschule als Übungsgelände – und dient auch noch der heutigen Regenbogen-Grundschule. Das Sportplatzgelände erhielt in seiner Grundstruktur das heutige Aussehen.
Unter einigen Turbulenzen wurde Anfang der 50er Jahre durch junge Vereinsmitglieder („junge Wilde“ würde man heute sagen) der Bau eines Sportheimes in Angriff genommen – und mit erheblichen finanziellen Anstrengungen und vielen Arbeitsstunden, aber auch persönlichen Differenzen innerhalb des Vereins zwischen 1954 und 1959 umgesetzt. Heinrich Backes war der erste Pächter für die Bewirtschaftung. Eine Erweiterung – mit sanitären Anlagen und einer Warmluftheizung und natürlich auch wieder mit erheblichen finanziellen Anstrengungen und viel Eigenarbeit – erfuhr das Sportheim zwischen 1964 und 1968. 1980 wurde es erneut renoviert. Und 1998, als es so gut wie überhaupt nicht mehr für seine Ursprungszwecke genutzt wurde, erhielt es das heutige Aussehen. Die Dusch- und Umkleideräume fielen weg und wurden in den Gaststättenbereich integriert. So dient das (verpachtete) Sportheim inzwischen in erster Linie als Gaststätte („Taverne Mykonos“ mit dem Pächterehepaar Anna und Dieter Jäger), wird aber vom TV Holzheim weiter gerne als Versammlungs- und Sitzungsstätte genutzt.
Den verschiedenen Provisorien im Winter, neben dem Saal beim „Schorsch“ die Räume der heutigen Bücherei in der ehemaligen Schule in der Beune, wurde ein Ende gemacht mit dem Bau der Mittelpunktschule 1962. Doch die noch heute – auch vom TV mit vielen Übungs-Wochenstunden – genutzte Turnhalle entsprach in ihren beschränkten Maßen nur bedingt den Ansprüchen des Handballs. Ausweichquartiere für Training und Spiel wie die Bundeswehrkaserne an der Licher Straße in Gießen, die Butzbacher Sporthalle oder die Sporthalle der jetzigen Gesamtschule Großen-Linden hatten ausgedient, als am 25. Februar 1978 die Sporthalle Holzheim oberhalb der Grundschule eingeweiht wurde – und seit dieser Zeit Ort vieler Siege und Triumphe, aber auch Niederlagen und Enttäuschungen Holzheimer (und jetzt Pohlheimer) Handballer ist.
Das „Wintervergnügen“ habe aus „Theaterstücken, Vorträgen und Tanz“ bestanden, berichtet die Vereinschronik. Und zeigt auf, dass das Vereinsleben nicht nur aus Turn- und Übungsstunden sowie Wettkämpfen bestand. Die Geselligkeit und Gemeinschaft hat auch heute noch eine wichtige Funktion im Vereinsleben und für das gesellschaftliche Zusammensein; gerade auf dörflicher Ebene. Allerdings haben sich die Formen gewandelt, wobei hin und wieder deutlich Rückbesinnungen zu erkennen sind.
Ein wichtiger Bestandteil in früheren Jahrzehnten waren die Vereinsfahrten. Durch die Ausweitung des Spielbetriebs gerade im Handball und die deutlich zugenommene Mobilität in unserer Gesellschaft ist dies kein Thema mehr.
Dagegen hat der aktuelle Spaß am Laientheaterspiel in Holzheim und in anderen Orten Vorläufer. Die Chronik berichtet aus dem Jahre 1923: „Am 18. 4. brachte unser Verein das Theaterstück Andreas Hofer zur Aufführung.“
Und wer heute zu den Fremdensitzungen der Ortsvereine geht, den wird erst einmal nicht interessieren, dass diese ihre Vorläufer in den Familienabenden des TV haben. In der Chronik von 1936 heißt es, dass der zweite Teil des Abend „karnevalistisch ausgesetzt“ worden sei, in der „Form einer Kappensitzung“. Diese Familienabende wurden lange Jahre zusammen mit dem Gesangverein „Harmonie“ durchgeführt.
Interessant auch, dass Anfang der 20er Jahre eine 40 Mitglieder starke Sängerabteilung zum Turnverein gehörte.
Dagegen wurde gerade im Jahr 2007 mehrfach darauf hingewiesen, dass der von Richard Schindler gegründete Fanfarenzug vor 50 Jahren, 1957 unter dem Dach des Turnvereins erstmals auftrat. Der heute als Musikzug firmierende stattliche Klangkörper löste sich 1961 wieder und trat als Unterabteilung der Freiwilligen Feuerwehr bei.
Über Jahre gehörte auch die Kirmesausrichtung zum Vereinsleben. Probleme, genügend Helfer und ein attraktives Programm zu finden, führten vor zehn Jahren dazu, dass dies die Ortsvereine (neben dem TV, der „Harmonie“ und dem Musikzug noch die Feuerwehr, der Kleintierzuchtverein, der VW-Club und der Tennis-Club) gemeinsam übernommen haben. Aber so wie der Turnverein seine großen Jubiläen 1933 (das 25-jährige Bestehen), 1958 (50 Jahre) und 1983 (75) groß gefeiert hat, will er auch das 100-jährige Bestehen mit zahlreichen Jubiläumsfeierlichkeiten begehen, unter anderem mit dem Festwochenende am Kirmeswochenende vom 1. bis 3. August.
Fußball ist nicht Kampf auf Leben und Tod – Fußball ist mehr. So ähnlich hat es ein Fußballtrainer einmal formuliert. Wie das in Bezug auf den Handball und den TV Holzheim einst ausgesehen hat, dazu sei noch einmal Paul Kirschstein-Freund zitiert: „Große Brisanz hatten Lokalderbys, insbesondere gegen den TV Grüningen. Die Mannschaft im grünen Trikot, gefolgt von zahlreichen Anhängern, begleitet durch den Dorfpolizisten Will, näherte sich in einem langen Zug dem Sportplatz. Als die Grüninger an der Vogelschutzhecke, an deren Stelle sich heute ein Gebäude der Grundschule befindet, vorbeikamen und dem Spielfeld näherten, rief man auf Holzheimer Seite: „Sie kommen“. Prophylaktisch hatte sich der Holzheimer Dorfpolizist Kolmer eingefunden, wohl wissend dass es anlässlich des Lokalderbys zu Auseinandersetzungen zwischen Spielern und Zuschauern kommen könne. In der Regel kam es bereits nach kurzer Spielzeit auf dem Platz zu einem Gerangel. Grüninger und Holzheimer „Fans“ stürmten nicht selten auf das Spielfeld. Dank des Einschreitens der Polizisten Will und Kolmer konnten die Streithähne getrennt und das Spiel fortgesetzt werden.“
Das war Anfang der 50er Jahre. Und ist heute – Gott sei Dank – längst Vergangenheit. Die übertriebene Lokalrivalität ist einer gesunden sportlichen Konkurrenz gewichen – oder einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Das fing im Handball Mitte der 90er Jahre an mit der JSG Limes, die die Jugendhandball-Abteilungen der SG Pohlheim (TV Watzenborn-Steinberg und TV Hausen), des TV Grüningen und des SV Garbenteich sowie des TV Holzheim bündelte. Nahezu zwangsläufig führte das 2001 in die HSG Pohlheim, die mit ihrem Aufstieg in die Männer-Regionalliga Südwest an glorreiche Erfolge des TV Holzheim angeknüpft hat.
Handball war auch das Bindeglied zu zahlreichen Vereins-Freundschaften, die heute noch in Teilen und unter Einzelpersonen bestehen. Schon sportpolitischen und -historischen Charakter hat die Verbindung mit dem SV Motor Großenhain, die nach den ersten Besuchen und Gegenbesuchen in den 50er Jahren durch den Kalten Krieg und den Eisernen Vorhang, auch in Deutschland, getrennt wurde. So war es ein besonderes Revival, als die Verbindungen unter den Vorzeichen der deutschen Wende 1990 wieder aufgenommen wurden.
Weit zurück, in den 60er Jahren liegen die Ursprünge der freundschaftlichen Bindung mit dem TuS Stuttgart, die vor allem durch den vor wenigen Jahren verstorbenen Fritz Schima geprägt wurden. In den 70er Jahren kamen die Kontakte mit dem TV Schiffdorf(-Bremerhaven) hinzu. Das Jubiläumsjahr soll auch dazu dienen, dass diese Freundschaften wieder aufgefrischt werden.
Es würde mit Sicherheit diesen Rahmen sprengen, alle Männer und Frauen aufzuzählen, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten in ihrer Freizeit für den Turnverein ehrenamtlich zur Verfügung gestellt haben, damit das sportliche Angebot (vor allem für die Jugend des Dorfes) aufrecht erhalten und das Vereinsleben mit immer neuen Angeboten versehen werden konnte. Auf der anderen Seite birgt eine – immer – subjektive Auswahl die große Gefahr, wichtige Personen zu vergessen.
Deshalb seien hier nur stellvertretend einige Namen genannt, die dem Chronisten aus der Vorstands- und Vereinsarbeit der jüngsten Jahrzehnte in besonderer Erinnerung sind: Heinrich Pfannkuchen, Elfriede Kurreck, Erich Sander, Ernst Sommer, Karl-Heinz Hock, Paul Kerpen, Ewald Klee, Bruno Irmler, Walter Müller, Inge Müller, Heinz-Willi Reitz, Helmut Hufnagel, Wilfried Schneider. Es ist nur eine kleine Auswahl. Die, das sei noch einmal betont, stellvertretend für viele steht. Und hoffentlich beim nächsten großen Jubiläum entsprechend ergänzt werden kann.
Der TV 08 Holzheim ist einer von 5 Stammvereinen der
HSG Pohlheim
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